Tellkamp, Uwe: Der Turm

 

Zwei mal Post zu einem Buch. Wie steht ein Dresdner zu Uwe Tellkamps vielgerühmten Buch DER TURM

Teil 1: Eindruck während des Lesens (12. Juni 2011)

Nun ärgere ich mich seit Tagen fasziniert durch dieses Buch. Nein ich will hier keine vollständige Rezension schreiben, nur mal zwischendurch meine Meinung zu einem speziellen Problem kund tun.

Fasziniert? Der Tellkamp muss eine Erzählwut in sich haben und zeigt damit eine Gestaltungsbreite, da kann man nur fasziniert sein. Er spielt mit den Worten und Sätzen, die er verschiedenen Personen gezielt zuordnet. Und beschreiben kann er. Der gebürtige Dresdner sieht sich mit der Standseilbahn auf den Weißen Hirsch, das Goldstaubviertel wie wir sagten, fahren. Er läuft die Schillerstrasse hoch und findet sich später am Parkhotel und in der Kakadubar wieder. Berühmt – berüchtigt in Jugendzeiten.

© UR

Da schreibt ein Dresdner. Nur wenige Jahre jünger als der Verfasser dieser Zeilen hier, schreibt er Dinge, die aus in zwanzig Jahren dicker werdenden Nebel heraus wabern, Sachen, die einem wieder bewusst werden. Da muss man nicht in Kreisen von Künstlern, Lektoren, Ärzten, Wissenschaftlern auf dem ► Weißen Hirsch aufgewachsen sein. In deren Villen herrschte irgendwie dieselbe Mangelwirtschaft wie anderswo und Tellkamp, dort geboren, bricht eine Lanze für dieses Bürgertum, welches von Bewohnern auf Höhe des Elbspiegels und auf der anderen Elbseite skeptisch betrachtet wurde. Eben Goldstaubviertel.

Das ist aber gar nicht das Problem. Tellkamp erfindet für sein Buch die Askanische Elbinsel und den „Stadtbezirk“ Ostrom. So eine Artfiktives Wandlitz, (genauer ► Waldsiedlung) in dem die Nomenklatura der Stadt abgeschottet lebt. Da leben auch Leute, die gar keine Dresdner waren. Nun, das ist nicht schlimm. Tellkamp sagt in einem Interview, dass das bewusst als fiktives Gegenstück angelegt ist. (Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, dann würde die Schwebebahn nach Ostrom fahren, welches sich auf der gegenüberliegenden Seite der Grundstraße, also gegenüber vom weißen Hirsch befinden würde. Für Insider.)

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Was ärgert mich eigentlich? Dem Nichtdresdner kommt es vermutlich so vor, als wäre auch dieses OSTROM, von Soldaten bewacht und „visapflichtig“ (Passierschein), real. Die ganze Stadt, das entrum zum Beispiel, real und plastisch, auf dem Weißen Hirsch nur die Straßennamen geändert und die Namen der alten Villen – man erkennt es wieder, auch wenn man nur einmal dagewesen. Egal ob früher oder heute oder früher und heute. Dieses OSTROM ist es, welches mich ärgert. Das es nicht gab. Und auch so nicht gab. Eine Bezirksstadt war nicht die Hauptstadt der DDR. Auch die Leute die in OSTROM „wohnen“ sind mehr als nur gewöhnungsbedürftig. Ob nun die überkandidelten Schriftsteller, die Leute vom Buchverlag und dann der Parteisekretär. Als ob das noch sein musste, hier die halbe Truppe des Hotels Lux in Moskau zu versammeln. So bescheuert, dass der Bezirkssekretär eine seltsam schillernde Truppe einlädt, sich alte Eisensteinfilme anzusehen und mitten im Jahr auf die Oktoberrevolution einen zu kippen…

(Betreffend ► Hotel Lux könnt ihr ja mal unter ► Herbert Wehner oder ►Friedrich Wolf googeln oder wiki bemühen.)

Ergo, dem Nichtdresdner darf ich sagen, vor allem dem westlich der Elbe, stellt sich das so dar, als ob es in den fünfzehn Bezirksstädten solche stasibewachten Enklaven für die Nomenklatura gegeben habe. Der Suhler Albrecht soll ja hier und da solches Gebaren gezeigt haben und mancher mag eine exklusive Jagdhütte „übereignet“ bekommen haben, aber das Gesamtbild stimmt nicht.

 

Quelle DNN Online

Ich finde, Tellkamp übertreibt in dem Anspruch, die ganze DDR in Dresden versammeln zu wollen. Er hätte besser eine fiktive Stadt nehmen sollen, in der Dresdner auch Dresden hätten entdecken können. Oder warum nennt er Dippoldiswalde WALDBRUNN aber Schirgiswalde Schirgiswalde? Das verstehe wer will. Seine Beschreibungen des Weißen Hirsches, der Plattleite überhaupt der wunderschönen Gegend an den Elbhängen oberhalb des Blauen Wunders, sind sehr schön. Der lesende Wanderer findet auch alles wieder. Zum Beispiel ► hier.

Da bleibt mir nun nichts weiter, als mich die zweiten 500 Seiten fasziniert zu ärgern…
Die Buchpreise jedenfalls bekam er trotzdem zu Recht.

 


Teil 2: Die eigentliche Rezension (am 23. Juni 2011)

So, nun ist es geschafft. Die neunhundertdreiundsiebzig Seiten des „Montageromans“ im „überwiegend personalen Erzählstil“ (wiki) sind Geschichte. Im doppelten Sinn. Der Dresdner Uwe TELLKAMP (1968) erhielt für seinen Roman mehrere bedeutende Preise. Ein Theaterstück soll es in Dresden auch geben. Das würde ich mir sogar ansehen. Wie schwierig der Autor zu lesen ist sagt vielleicht folgendes Zitat, das ich Wikipedia entnommen habe:

„[zu]… Tellkamps politischer Haltung:

„Er ist immunisiert gegen Ostalgie und frei von überflüssiger Euphorie über das wiedervereinigte Deutschland“. Krekeler bescheinigt dem Autor einen Hang zur „Hermetik“, d.h. zu Aussagen, die nicht gänzlich dechiffriert werden können. Diesen Hang erklärt Krekeler durch einen doppelten Ausschluss Tellkamps von der ihn umgebenden Welt: erstens die zwangsweise Trennung des DDR-Bürgers durch Mauer und Stacheldraht vom Westen und zweitens die freiwillige Absonderung des Angehörigen des Bildungsbürgertums, das in Ostdeutschland auf eine im Westen oft als „museal“ empfundene Weise erhalten geblieben sei, von der Gesellschaft der DDR. Dadurch stehe Tellkamp seinen Kollegen im ehemaligen Ostblock geistig näher als seinen deutschsprachigen Kollegen in den alten Bundesländern, in Österreich und der Schweiz.“ 

Meiner Auffassung nach ist das ganz treffend. Ein ehemaliger sächsischer Innenminister bedeutete mir, dass TELLKAMP  „über die Schickeria Dresdens schreibt, die es so nicht gab und der er gern angehört hätte“. Allein hieraus kann man erkennen, dass wir es mit einem ziemlich komplizierten Buch zu tun haben.

Die Hauptfiguren entstammen den Familien HOFFMANN im Haus KARAVELLE, vor allem Sohn Christian und seine Eltern ANNE und RICHARD (Oberarzt der chirurgischen Klinik). Sein Onkel Meno ROHDE (Lektor) aus dem TAUSENDAUGENHAUS. Hinzu kommen diverse andere im „Turmvirtel auf dem WEISSEN HIRSCH wohnende Familienmitglieder und andere, mit wenigen Ausnahmen „Bildungsbürger“; was immer das ist.

In Christian sollen sich nach eigner Aussage autobiografische Züge wieder spiegeln. Der, sein Vater Richard und sein Onkel Meno (Zoologe und nun Lektor in der „Dresdner Edition) sind die wichtigsten Figuren. (Eine Handlungszusammenfassung sprengt den Rahmen; schaut bitte wirklich in Wikipedia nach). Da Meno selber schreibt bekommt er einen eigenen Erzählstil (Tagebuch) zugeteilt. Da manche (fiktive bedeutenden Schriftsteller mitmachen, bekommen auch diese in einigen spezifischen Raum. Das macht den Schreibstil interessant aber auch höllisch kompliziert an manchen Stellen. Dazu kommt die unterschiedliche Kapitelgestaltung, Eines hat nur drei Zeilen. Kurze knappe Sätze in den einen, extrem lange Sätze voller Semikola in den anderen.

© UR

Weiter oben  hab ich schon angedeutet: TELLKAMP versucht meiner Meinung nach die gesamte DDR in und bei Dresden unterzubringen. Das hätte er lieber gelassen. Zum einen versteht man manches bloß, wen man sekundär liest, also zum Beispiel die im Internet zu findenden Beiträge und Interviews rezipiert. Hierbei schafft er Bilder, die, bei aller erlaubten Überhöhung der zu transportierenden (individuellen) Botschaft des Autors, meines Erachtens historisch unkorrekt sind. Dies wird verstärkt, da er Dresden in Teilen real und sehr konkret beschreibt, dann aber fiktive Stadtteile, Inseln usw. einfügt, die den Dresdner ungläubig staunen lassen, dem Nichtdresdner aber seltsame Bilder bieten, die es so einfach nicht gab. In einer fiktiven Stadt im Süden der DDR hätte das Buch genauso angelegt werden können, Beschreibungen hätten den Dresdnern und den Kennern dieser Stadt gezeigt: Mensch, das könnte doch Dresden sein.

Hier liegt ein Buch vor, das mit Recht ein interessantester, sehr direkter und bildhafter Roman über die deutsche Geschichte von 1982 bis 1989 genannt werden kann. Die Lust am Schreiben, am Fabulieren, am Dichten merkt man dem Uwe TELLKAMP an. Schreibstil, Umfang, Ausschweifungen werden den Leserkreis etwas einengen, nehme ich an. Trotzdem ist der noch sehr hoch.

In der Begründung für den Deutschen Buchpreis hieß es: „Uwe Tellkamps großer Vorwenderoman ,Der Turm’ entwirft in einer Fülle von Szenen, Bildern und Sprachformen das Panorama einer Gesellschaft, die ihrem Ende entgegen taumelt. … Den Lesern erschließen sich wie nie zuvor Aromen, Redeweisen und Mentalitäten der späten DDR. Unaufhaltsam treibt das Geschehen auf den 9. November zu“. (wiki)

TELLKAMP auf die Frage, wie es weiter geht:
„Wenn die Musen geben, der Wirbel sich gesenkt hat und die Ruhe zurückkehrt, in der man hört, was die Figuren auf dem weißen Papier dem Autor, ihrem Geburtshelfer, erzählen.“

PS: Das ► Theaterstück wie auch der ►Film liefen inzwischen auch im Fernsehen. Ich hab es mit Interesse gesehen und würde bei Gelegenheit auch ins Theater gehen. Wenn es sich denn trifft.

Brigitte Friedrich / Suhrkamp

Uwe Tellkamp wurde 1968 in Dresden geboren. Nach seinem Wehrdienst in der NVA verliert er wegen »politischer Unzuverlässigkeit« seinen Medizinstudienplatz, wird 1989 im Zuge der Wende inhaftiert und setzt danach sein Studium in Leipzig, New York und Dresden fort. Nach seinem akademischen Abschluss arbeitete er als Arzt in einer unfallchirurgischen Klinik in Dresden. Derzeit lebt er als Schriftsteller in Dresden.
Bislang sind von ihm erschienen: Der Hecht, die Träume und das Portugiesische Café  und Der Eisvogel. Für seinen Roman Der Turm, seinem ersten Buch im Suhrkamp Verlag, erhielt er 2008 den Deutschen Buchpreis. (Quelle: Suhrkamp Verlag)

 

 

© Bücherjunge (NZ – 05. Januar 2021 – UR)

Ein Gedanke zu „Tellkamp, Uwe: Der Turm

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