90 Jahre: 10. Mai 1933 – Dresden – Räcknitzhöhe

Winterbilder passen besser zum Thema des heutigen Tages. Es ist heute 90 Jahre her, dass um die Ecke hier in Dresden Zschertnitz, auf der Räcknitzhöhe an der Bismarcksäule wie auf vielen anderen Plätzen in Deutschland Bücher in Flammen aufgingen. Bücher von Heinrich Heine, Lion Feuchtwanger, Stefan Zweig, Heinrich Mann, Sigmund Freud, Karl Marx, Kurt Tucholsky, Erich Maria Remarque und dem in Dresden geborenen Erich Kästner.

Erich Kästner sah sogar zu, als auf dem Berliner Opernplatz sein Name genannt wurde. Später schrieb er darüber Aufsätze. Der Atrium Verlag veröffentlichte das folgende Büchlein zum Thema.

Es beinhaltet Texte Erich Kästners zum Thema. Eindrucksvoll auch der Text ÜBER DAS VERBRENNEN VON BÜCHERN vom 10. Mai 1953 / 1958. In diesem schreibt Kästner:

„Seit Bücher geschrieben werden, werden Bücher verbrannt. Dieser abscheuliche Satz hat die Gültigkeit und Unzerreißbarkeit eines Axioms. Er galt zur Zeit der römischen Soldatenkaiser und unter Kubilai Khan, bei Cromwell und für die Konquistadoren, für Savonarola, Calvin und Jacob Stuart, für die Jesuiten, die Dominikaner und die Puritaner, für China und Rom, für Frankreich, Spanien, England, Irland und Deutschland, für Petersburg, Boston und Oklahoma City. Immer wieder hatten die Flammen ihren züngelnden Wolfshunger, und immer wieder war ihnen das Beste gerade gut genug. Sie fraßen die Werke von Ovid und Properz, von Dante, Boccaccio, Marlowe, Erasmus, Luther, Pascal, Defoe, Swift, Voltaire und Rousseau. Manchmal fraßen sie den Autor oder den Drucker als Dreingabe. Oder sie leuchteten, damit der Henker den Angeklagten umso besser die Ohren abschneiden, die rechte Hand abhacken und das Nasenbein zertrümmern konnte. 

Hören Sie sich, bitte, ein paar Sätze aus einem Buch an, und versuchen Sie zu erraten, wer das und wann er es geschrieben haben könnte! 

 »Man hat nicht nur gegen die Autoren, sondern auch gegen ihre Bücher gewütet, indem man besondere Kommissare beauftragte, die Geisteserzeugnisse der bedeutendsten Köpfe auf offnem Markte zu verbrennen. Natürlich meinte man in diesem Feuer die Stimme des Volkes, die Freiheit und das Gewissen töten zu können. Man hatte ja obendrein die großen Philosophen ausgewiesen und alle echte Kunst und Wissenschaft ins Exil getrieben, damit nirgends mehr etwas Edles und Ehrliches anklagend auftrete … Während in fünfzehn Jahren … gerade die geistig Lebendigsten durch das Wüten des Führers umkamen, sind nun wir wenigen … nicht nur die Überlebenden von anderen, sondern auch von uns selber, weil ja mitten aus unserem Leben so viele Jahre gestohlen wurden, in denen wir aus jungen zu alten Männern geworden sind, … indessen wir zur Stummheit verurteilt waren.« 

 Das hat Tacitus nach der Schreckensherrschaft des Kaisers Domitian geschrieben, der im Jahre 96 n. Chr. ermordet wurde. Achtzehn Jahrhunderte und ein halbes sind vor diesen Sätzen vergangen wie ein Tag und wie eine Nachtwache.“ *

Kästner sagte weiter dazu, dass seit Heinrich Heine gilt: „Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.“

Ansprache in Hamburg am 10. Mai 1953 – Erich Kästner *

In Dresden, und daran sei heute ebenso erinnert, ging es mit den Bücherverbrennungen schon eher los. Am Wettiner Platz bereits am 08. März 1933, als ein SA-Sturm das dortige SPD-Verlagshaus stürmte und Bücher verbrannte.

Am 6. Mai 1933 verbreitete das Hauptamt für Aufklärung und Werbung der Studentenschaft der TH Dresden seinen Aufruf „Weg mit der Schundliteratur“ Die Abgabe der Bücher konnte in der Landesbibliothek, der Stadtbibliothek, der Bücherei des Pädagogischen Instituts und im Studentenhaus erfolgen.

www.gedenkplaetze.info/taeter-innenspuren/buecherverbrennungen-in-dresden **

Der NS-Studentenbund in Sachsen trug daran seinen Anteil und nicht nur deswegen erinnert nun die Technische Universität Dresden an das Ereignis, denn Rektor, Professoren und Studenten stand auf der Höhe im Süden der Stadt nebeneinander. Am heutigen Tag druckt die Sächsische Zeitung unter Erinnerung an Erich Kästner:

Der 10. Mai 1933 ist auch an der TH Dresden ein besonderer Tag. Zwei Monate nach dem SA-Überfall auf ein SPD – Verlagshaus am Wettiner Platz… tritt nun im Studentenhaus der Universität vor Kommilitonen in SA- und SS-Uniform, den Rektor, Professoren und etliche städtische Amtsinhaber der Gauobmann des NS-Reichsverbandes Deutscher Schriftsteller persönlich. Will Vesper hetzt die Versammelten auf mit einer Rede über die ‚Allerweltsgeistigkeit des internationalen Judentums‘, bevor die vielen Hundert Menschen zählende Menge im Fackelzug zur nahen Bismarcksäule zwischen Räcknitz- und Südhöhe marschiert.

Dort haben die Studenten einen Scheiterhaufen aus Büchern errichtet. Nach dem Bekenntnis zur ‚Notwendigkeit der Reinigung des deutschen Volkskörpers von intellektuellem Schmutz‘ durch den Studentenschafts-Vorsitzenden wirf der SA-Sturm der Studierenden symbolträchtig ausgewählte Bücher in die Flamme…“

Aus Erich Kästner: „Es war widerlich“ in Sächsische Zeitung, 10. Mai 2023, Seite 7

Die TU Dresden veranstaltet zum Thema einen Rundgang auf dem Campus-Gelände (13. Mai 2023) und einen Vortrag zur Erinnerungskultur (11.Mai 2023) in der SLUB (Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek).

„Anders als die deutschlandweit erste Bücherverbrennung durch die SA am Wettiner Platz ist die studentisch organisierte Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 weniger stark im kollektiven Gedächtnis der Stadt Dresden verankert. Mit dem Rundgang wollen wir das Bewusstsein dafür stärken und die Rolle der Studierenden und Hochschullehrenden der damaligen Technischen Hochschule Dresden beleuchten, die an dieser Aktion beteiligt waren“, so Prof. Roswitha Böhm, Prorektorin Universitätskultur an der TU Dresden.

Prorektorin Prof. R. Böhm – TU Dresden – Informationsdienst

DNB / Atrium Verlag / Zürich – 4.2017 / ISBN: 978-3-85535-289-7 / 51 Seiten

© Bücherjunge (DD, 10.05.2023)

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